Von Irkutsk geht’s zum Baikalsee. Genauergesagt auf die
Insel Olchon. Für die ca. 250 Kilometer soll man ca fünf Stunden brauchen.
Zum Ende der Strecke geht es über üble Schotterpisten, die Oskar mächtig durchrütteln.
Ich versuch so behutsam wie möglich zu fahren, aber alles rattert gnadenlos…
Der Baikalsee hält einige Rekorde. Er ist der älteste (ca. 25 Millionen Jahre alt) und der tiefste See (1637 Meter) mit dem klarsten Wasser. Er ist der größte Süßwassersee und enthält 20 Prozent allen Süßwassers auf der Erde. Sein Volumen von 23.000 Kubikkilometer Wasser entspricht etwa zwei Mal der Ostsee oder ca. 200 Mal des Bodensees. Seine Nord-Süd-Ausdehnung beträgt unglaubliche 636 km mit über 2000 km Küste. All diese enormen Fakten verblassen jedoch gegen seine Schönheit. Sobald man den letzten Hügel vor dem See erklommen hat kann man seinen Blick nicht mehr abwenden...
Die einzige Verbindung der Insel Olchon zum Festland sind
zwei kleine Fähren. Leider bin ich nicht der einzige, der heute auf die Insel
will. Ich kann noch nicht mal die Fähre oder den Hafen sehen, da die Schlange
der Autos um einen Hügel führt. Auf diese Fähren passen vielleicht zehn Autos
und ein kurzer Spaziergang zum Hafen zeigt mir, dass sicher über 60 Fahrzeuge
vor mir sind. Also heißt es warten, warten, warten. Nach drei oder vier Stunden
bin ich endlich dran. Es ist schon fast dunkel, als ich auf der Insel ankomm.
Ich fahr einige Kilometer ins Landesinnere und stell mich irgendwo an die
Küste. Ich bin so müde, dass ich augenblicklich einschlafe…
Die Bucht
Am nächsten Morgen fahr ich einige Kilometer weiter. Die
Piste ist fast durchgehend knallhartes Wellblech, so dass ich die 30 km/h so
gut wie nie knacke. Teilweise weich ich rechts und links auf kleinere Nebenpisten
aus, die zwar nicht so hart, aber ziemlich sandig sind. Irgendwann entdecke ich
linkerhand eine kleine Bucht, die mir sofort gefällt. Glasklares Wasser, perfekter
Sandstrand umrandet von leichten Hügeln. Dazu die phänomenale Aussicht über den
Baikalsee. Das ist meine Bucht. Hier bleib ich…
In der Bucht stehen noch einige weitere Fahrzeuge. An einem knallorangenen
VW LT klebt doch tatsächlich ein deutsches Nummernschild. Drinnen sitzt der
rauchende Pigu aus Hamburg. Witziger Kerl, der schon vor ner Weile von der
Bucht eingefangen wurde. Gleich hinterm Bulli mach ich zum ersten Mal Bekanntschaft
mit einer unscheinbaren Pflanze, die mir den halben Fuss verbrennt. Tut
höllisch weh, doch komischerweise setzt bei mir kein Lerneffekt ein. So wiederhol ich dieses
Kunststück mindestens drei Mal am Tag. Jedes Mal verfluch ich diese
Scheiß Pflanze aufs Übelste! Und jedes Mal kann ich nicht glauben, dass ich das nicht
so langsam mal checke. Aber Flora und Fauna technisch gibt’s aber auch einen fetten Vorteil: Endlich
mal keine Mücken! Das gab‘s schon lange nicht mehr…
Chukir
Nach ein paar Tagen will ich nach Chukir, den Hauptort der Insel. Hier soll auch
der berühmte Schamenenfelsen sein, der fast auf jeder Postkarte hier zu finden ist. Die Piste dahin ist immer noch ne Katastrophe. Das knallharte Wellblech lässt mich wieder auf die Seitenwege ausweichen. Das schont Oskar zwar deutlich, aber ich hab ziemlich Schiss mich wie
auf Römö, Dänemark in dem weichen Sand festzufahren. Ok, damals führte eher das äußerst
ungeschickte Navigieren meines Co-Piloten zu dem Unglück, aber die Sandpisten
links und rechts neben der Schotterpiste sind eben ähnlich sandig. So sitz ich ziemlich angespannt hinterm Steuer. Gerade bei den Steigungen. Hoffentlich hält Oskar das durch. So
können 20 km doch ganz schön lang werden...
Einige Kilometer vor Chukir
entscheide ich mich für eine Strecke durch den Wald. Hier ist es leider noch
sandiger und bei einigen Passagen rattert Oskar nur mit letzter Kraft durch.
Direkt vor dem Ort kommt eine nicht zu überwinden scheinende Stelle. Bestimmt
30 Meter tiefer Sand bei gleichzeitiger leichter Steigung. Soll ich umkehren
und zurück zur holprigen Hauptstraße? Ne, das wäre zu weit. Und wer weiß, ob es
da besser ist?! Also dadurch jetzt. Ich setz ein wenig zurück, um einige Meter
mehr Anlauf zu haben, streichel Oskar noch mal übers Lenkrad und geb Gas. Oskar
schwimmt regelrecht durch den Sand und mit jeder Sekunde wird er langsamer und
langsamer. Mich überkommt schon dieses komische Gefühl, dass ich gleich ein
Problem haben werde, aber mit letzter Kraft erreicht Oskar festeren Untergrund
zieht auch das Heck raus. Puuhh…
Nach diesem Stress hoffe ich auf eine Belohnung. In meinen Gedanken
erwartet mich ein hübsches Städtchen mit dem berühmten Schamenenfelsen im
Hintergrund. Leider versucht Chukir das Gegenteil zu erreichen. Es ist ein
staubiges Nest, das in erster Linie den Touristen möglichst viel Geld aus der
Tasche ziehen will. Schrecklich. Und vom Schamanenfelsen ist auch nicht viel zu
sehen, da es heute richtig diesig ist. Na ja, zumindest komm ich mal wieder ins
Internet…
Alina
Ich fahr wieder einige Kilometer auf der Hauptstraße zurück
an einen kleineren Strand. Hier ist schon mal deutlich weniger los. Ich mach
mir einen Kaffee und setz mich ans Wasser. Irgendwann seh ich am Ende des
Strandes Jemanden mit einem riesigen Rucksack…
*****************
Jetzt hat wieder ein Mal diese unglaubliche sibirische
Gastfreundschaft diese Geschichte unterbrochen. Lucho (das hab ich zumindest
verstanden) stand plötzlich mit selbstgebrannten Wodka und geräuchertem Ogul
vor mir. Diesen geräucherten Fisch hab ich nicht zum ersten Mal angeboten bekommen und ist
wirklich eine Delikatesse. Die Verständigung läuft sehr herzlich, aber nur
schleppend. Mit jedem Wodka wird’s aber besser. Gut, dass er den gleich in
einer 5 Liter Flasche mitgebracht hat. Zum Dank gibt’s von mir meinen
importierten Jägermeister. So langsam verstehen wir uns blendend. Nur die
Tatsache, dass Lucho Scooter geil findet, kühlt das Gespräch kurzzeitig ab…
*****************
Zurück zum riesigen Rucksack. Ist der wirklich so groß oder ist die Frau (so
viel kann ich erkennen) nur so klein? Jedenfalls hat die Gute schwer an ihrem
Gepäck zu tragen. Immer wieder und immer häufiger legt sie eine Pause ein. Als
sie ungefähr auf meiner Höhe ankommt geh ich ihr ein paar Schritte entgegen und
frag auf Englisch, ob ich ihr helfen kann. Ihr Englisch ist ganz passabel und
so will sie wissen, ob dies ein guter Platz zum Übernachten sei. Ich antworte,
dass ich auch gerade erst angekommen sei, aber wenn sie mag würde ich auf sie
aufpassen. Sie schaut mir eindringlich in die Augen und lässt ihren schweren
Rucksack an Ort und Stelle fallen…
Ich schau mir Alina genauer an. Sie ist tiefbraun gebrannt
und wirkt irgendwie ungewaschen. Sie hat grobe Hände und zerzaustes braunes
Haar, das sie zu einem Zopf gebunden hat. Außerdem riecht sie schwer
nach Lagerfeuer. Ich weiß nicht genau was, aber diese Frau macht mich irgendwie
neugierig und ich frag, ob sie einen Tee mit mir trinken möchte. Wieder schaut
sie mir mit ihren fast schwarzen Augen auf den Grund meiner Seele, überlegt
kurz und willigt ein.
So erfahr ich, dass Alina 28 Jahre alt ist und Lehrerin ist. Sie hat allerdings nach dem Studium nie als
Lehrerin gearbeitet und reist seit fünf Jahren kreuz und quer durch Asien. Alles
was sie zum Leben braucht hat sie dabei. Einen Großteil ihres Gepäcks scheint
eine Vielzahl von Kräutern auszumachen. Wie eine kleine Hexe weiß sie alles
über diese Kräuter. Als ich mal huste packt sie alsbald eines der Kräuter in
meinen Tee. Ich weiß nicht so recht, was ich von dieser Frau halten soll, aber
wir reden bis zum Sonnenuntergang. Es ist schon halb zehn als sie plötzlich
aufsteht und in die Stadt gehen will. Sie möge doch so gern laufen und wenn ich
bei ihrer Rückkehr noch nicht schlafe könnten wir noch einen Tee trinken…
Ich seh Alina erst am nächsten Morgen wieder. Sie kommt
gerade vom Holz holen, das sie zum Kochen benötigt. Auf der Insel gibt’s kaum
Bäume und so musste sie drei Kilometer laufen. Unglaublich geschickt entfacht
sie ein Feuer und stellt einen kleinen Topf zum Wasserkochen hinein. Und gerade
wenn sich der Topf auf dem knackenden Feuer wieder gefährlich zur Seite neigt
schiebt sie genau an der richtigen Stelle ein kleines Stöckchen nach. Das hat
sie ohne Zweifel schon hunderte Male gemacht. Wieder verlieren sich die
verschiedensten Kräuter in dem Topf und wenig später halte ich einen Becher Tee
in der Hand. Der Becher ist schon ein etwas schmuddelig und obwohl Alina den
Tee abgegossen hat schwimmen noch unzählige Kräuter und Gräser darin. Meine
Skepsis legt sich mit dem ersten Schluck. Dieser Tee ist fantastisch...
Zur
gleichen Zeit bereitet Alina ganz selbstverständlich einen Eintopf in einem
etwas größeren Topf vor. Diesen habe sie erst gestern gefunden. Ich fühl mich
mies. Im Gegensatz zu Alina führ ich ein Leben im größten Luxus. Oskar ist das
reinste Luxushotel und ziemlich gut mit den verschiedensten Leckereien gefüllt.
Und jetzt kocht Alina für mich. Mit Sachen, die sie wirklich schwer getragen
hat. Aber ich kann sie da nicht von abbringen. Und insgeheim bin ich mir auch
sicher, dass sie meine größtenteils industriellen Lebensmittel nicht wirklich pralle finden
würde. Mit dem Eintopf ist es wie mit dem Tee. Er sieht nicht wirklich
schmackhaft aus, aber es ist wahrlich vorzüglich. Ich bin mir nicht sicher, ob ich schon
was Leckeres auf dieser Reise hatte…
Nur wenig später läuft sie in die Stadt. Sie habe dort
gestern ein Jobangebot bekommen. Kräuter sammeln. Das kann sie bestimmt gut.
Mies ist dagegen die Bezahlung. Sie bekommt 70 Rubel in der Stunde. Das ist nur wenig
mehr als ein Euro. Aber Alina ist das egal. Für sie ist das keine richtige
Arbeit…
Ich treff sie erst spät abends wieder. Die Sonne geht schon
so langsam unter. Wir entfachen ein Lagerfeuer, trinken wieder Tee und schauen auf
diesen wunderschönen See. Bis tief in die Nacht reden wir über Glück und
Unglück, Wichtiges und Unwichtiges. Über die Kraft der Gedanken und das
Schicksal…
1 Kommentar:
Sauber Bruder, weiter so! Les das Geschreibsel unheimlich gerne...-auch wenn ich mir vorstellen kann, dass du an wenigstens einer Stelle (Schuld des Co-Piloten auf Römö) etwas geflunkert hat. War dafür aber lustig!
Liebe Grüße von mir nebst Family!
Kommentar veröffentlichen