Es gibt Tage im Leben, die vergisst man nicht. Nie wieder. Dieser
Tag war so einer. Ich weiß nicht, ob es Glück oder Zufall war, aber jedem, der
es mal in das wunderschöne Zentralasien
schafft, kann ich nur einen Abstecher in den usbekischen Part des Ferganatals
empfehlen. Es ist schier unglaublich wie nett diese Menschen hier sind. Den
ganzen Tag haben wir nur total herzliche und offene Menschen kennengelernt!
Ob auf der Straße oder auf dem Markt, jede Begegnung, jedes
Kennenlernen beginnt mit einem freundlichen Lächeln, der flachen Hand auf dem
Brustkorb und einer leichten Verbeugung. Ich kann mir keinen besseren Weg
vorstellen, wie man einem Fremden freundlicher entgegen treten kann. Wenn die
Leute dann erfahren, dass wir aus Deutschland kommen, folgt meistens ein
langgezogenes „Aaah“ oder „Oooh“. So müssen wir Hunderte Hände
schütteln oder später auf dem Markt irgendwelche lokalen Spezialitäten
probieren. Fotos gehörten fast auch immer dazu. Witzigerweise bedanken sich die
Menschen immer wieder, wenn wir sie fotografiert haben. Und wie oft
sind wir zum Tee oder Essen eingeladen worden!? Es ist echt unglaublich. So sind
wir eigentlich den ganzen Tag mit diesem zufriedenen Dauergrinsen durch die
Gegend gelaufen...
Am frühen Abend kommen wir zurück zu unserem Hotel.
Zufrieden aber auch ziemlich platt von dem Erlebten. Wir haben aber noch
Kohldampf und wollen noch eben einen Happen essen, bevor es ins Bettchen geht.
Schnell finden wir ein klassisches Einheimischen-Lokal. Einfach, aber gutbesucht.
Leider sogar so gut besucht, dass alle sechs Tische des kleinen Lokals belegt
sind. Man gibt uns zu verstehen, dass wir uns zu einem älteren Herrn an den
Tisch sitzen sollen. Wir sind uns erst nicht ganz sicher, da dieser ältere Herr
ganz schön finster ausschaut. Mit seinem kantigen Gesicht und dem kurz
geschorenen Schädel könnte der in jedem Film den Bösewicht spielen.
Natürlich sind in diesem Lokal aber die Blicke nicht auf den
Bösewicht sondern auf uns sonderbare Gestalten gerichtet. So hocken wir uns verstohlen an die
gegenüberliegende Ecke des Tisches und ordern Hühnchen und ne Kanne Tee. Die
Bedienung scheint nicht so häufig Ausländer zu sehen. Jedenfalls ist so nervös, als würde sie jeden Moment damit rechnen würde, dass
wir sie grundlos erschießen. Als die
gute wenig später mit dem Tee zurückkommt, stellt sie diesen jedoch genau vor
den fast regungslosen Bösewicht. Wir schauen uns ein wenig ratlos an. Könnte ja
sein, dass auch der alte Mann Tee bestellt hat. Jedenfalls trauen wir uns
nicht, den Tee zu uns rüber zu ziehen.Aufgrund einer gewissen Ähnlichkeit nennen wir den Bösewicht
ab sofort Alan. Wie Alan Shearer. Wenig später schnappt sich dieser die Kanne
und gießt eine Tasse voll, um diese danach wieder in die Kanne zu schütten.
Diese Prozedur wiederholt er noch zwei weitere Male und wir beobachten das mit
großen Augen. Was macht der bitte mit unserem Tee!? Beim vierten Eingießen
lässt er den Tee in der Tasse und schiebt in Zeitlupe die Tassen zu uns rüber.
Dabei verzieht er keine Miene und wir wissen nicht genau was wir davon halten
sollen.
Im nächsten Moment fummelt Alan aus ner Plastiktüte unterm
Tisch eine Flasche Honigwodka, füllt seine Teetasse randvoll und kippt den
Wodka mit einem riesigen Gluck runter. Ohne mit der Wimper zu zucken. Wir
schauen sprachlos zu. Dann schnappt er sich unsere halbvollen Teetassen, kippt
den Rest unter den Tisch und füllt auch unsere Tassen mit dem Honigwodka. Mit
einer Geste fordert er uns zum Trinken auf. Zum Glück erkennen die jungen Männer am Nachbartisch, dass ein
kleines Kommunikationsproblem vorliegt. So kommen sie rüber und erklären uns
die traditionellen Sitten und Gebräuche. So dient beispielsweise das wiederholte
Eingießen zum Abkühlen des Tees. Außerdem übersetzen sie, dass Alan noch nie
zuvor einen Ausländer gesehen hat und deswegen wohl etwas ungeübt im Umgang mit
Fremden sei. Alan sei aber sehr glücklich, dass er uns kennenlernen darf. Ja, er
wäre regelrecht stolz, mit uns am Tisch sitzen zu dürfen.
An diesen Tisch haben sich inzwischen auch die Jungs vom
Nachbartisch gesellt. Neben dem von uns georderten Hühnchen werden laufend
weitere Köstlichkeiten an den Tisch gebracht. Keine Ahnung wer dafür
verantwortlich ist. Genauso ist es für Alan selbstverständlich, dass er mit uns
seinen Schaschlik teilt. Widerspruch zwecklos. Nebenbei wird weiterhin kräftig
Honigwodka ausgeteilt. Schnell sind wir bei der zweiten Flasche. Es ist so ein
interessantes und lustiges Kennenlernen, dass die Zeit nur so dahinfliegt. Letztlich werden aus dem „eben einen Happen essen“ über drei
Stunden. Dabei werden vier Flaschen Wodka und etliche Bierchen vernichtet. Zwischendurch
bin ich noch mal schnell zum Oskar und hab den Rest vom Jägermeister geholt.
Damit die Jungs auch mal deutsches Trinkgut kennenlernen. Nur Alan schafft den
nicht mehr. Der ist schon ziemlich voll und lacht jetzt sogar manchmal. Besonders
witzig finden wir, dass man sich hier nach einem lustigen Spruch anerkennend die
Hand gibt. Das finden wir so geil, dass wir diese Geste für ganz Usbekistan
beibehalten.
Aber das soll es noch nicht gewesen sein. Irgendwann schlägt
einer vor, man könne ja noch zum Bowling gehen. Gute Idee. Also Bezahlen und nichts wie
los. Das Bezahlen wird uns allerdings verwehrt. Keine Chance. Stattdessen
bedanken sie sich bei uns. Echt unglaublich. Beim Verlassen des Lokals sackt Alan
Shearer dann auf die Knie. War wohl doch ein bisschen viel. Aber genauso
schnell wie ein Transport zum Bowling ist auch ein Heimtransport für Alan organisiert. Beim Bowling geht’s stimmungsvoll weiter. Es gibt noch mehr Wodka
und noch mehr Bier. Dazu Knabberkram. Ich kann mich nicht mehr so genau
erinnern, aber angeblich soll Hilko irgendwann an diesem Abend drei Strikes in
Folge geschafft haben. Na ja, um 1 Uhr will die Bowlingbahn schließen. Auf dem
Heimweg fühlen sich die Jungs, die wir vor einigen Stunden noch nie gesehen
haben, wie Freunde an. Wahrscheinlich weil sie uns ständig das Gefühl geben,
dass es für sie eine Ehre ist, Zeit mit uns zu teilen. Wir sind schwer
beeindruckt von dieser gelebten Gastfreundschaft! Eine Gastfreundschaft, die
keinen Hintergedanken hat und keine Gegenleistung erwartet...
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